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updated 7:40 AM UTC, Apr 30, 2024

Paul Hinder, ein Bischof in Arabien, ein Hirte der Migranten

Das Leben der Kirche am Golf in einem Interview mit dem Apostolischen Vikar der Emirate Vereinigte Arabische Emirate, Yemen und Oman.

Cristina Uguccioni

ABU DHABI

„Ich sehe mich in erster Linie als Hirten der Migranten“. So umschreibt der Schweizer Bischof Paul Hinder seine Aufgabe und Stellung. Er ist 76 Jahre alt und gehört dem Orden der Minderen Brüder Kapuziner an. Im Jahr 2005 wurde er zum Apostolischen Vikar von Arabien ernannt; dabei handelt es sich um ein riesiges Gebiet, das Yemen, Oman, Saudiarabien, Qatar, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate umfasste. Im Jahr 2011 wurde das Vikariat aufgeteilt: Bahrain, Qatar, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate wurden dem Vikariat Kuwait zugeteilt (von diesem Zeitpunkt als Vikariat Nordarabien bezeichnet. Yemen, Oman und Vereinigte Emirate bildeten das neue Apostolische Vikariat Südarabien;  es wurde Bischof Hinder zugewiesen. In diesem Gebiet wohnt ca. 1 Million Katholiken; alle sind Ausländer. Angestellt sind sie vor allem in einigen Sektoren (Bau, Schule, Dienste und Hausarbeit). Sie kommen aus mehr als hundert Ländern; vor allem aus den Philippinen, Indien und anderen asiatischen Ländern. Es gibt eine gleichbleibende Zahl von Gläubigen asiatischer Sprachen, aus dem Libanon, Syrien und Jordanien. In den letzten Jahren kam es zu einer signifikanten Zunahme bei den Katholiken aus Afrika, Europa und Amerika. Bischof Hinder, der in Abu Dhabi wohnt, hat folgendes Buch verfasst: „Als Bischof in Arabien.    Erfahrungen mit dem Islam“. Beim Interview mit Vatican Insider erzählt er die Geschichte der Kirche am Golf, die er definiert als „aus Migranten und für Migranten.

Welche Grenzen sind am schwierigsten zu ertragen?

„Am meisten Mühe macht es, dass der Bereich, auf den wir zählen können, sehr gering ist. Es macht uns grosse Schwierigkeiten, den Katechismusunterricht und die eucharistischen Feiern zu organisieren, besonders wenn die Zahl der Gläubige sich auf einem hohen Niveau bewegt und nicht aufhören will, immer mehr zu wachsen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass das Leben am Golf „in vielerlei Weisen ein Leben am Rand, an der Peripherie, sein kann“. Welches sind diese  Randpositionen?

Wer in die Länder am Golf kommt um zu arbeiten, der muss sich bewusst sein, dass  entgegen aller Erwartungen er hier nicht auf eine Goldmine stossen wird. Hier lebt man im Provisorischen, sei es was die Arbeit angeht: man kann sie jederzeit verlieren, sei es was die Aufenthaltsbewilligung angeht: sie wird im Maximum für zwei oder drei Jahre gegeben. Darüber hinaus: Wenn am Golf der Lebensstil ähnlich wie in westlichen Ländern zu sein scheint, leben wir gleichwohl in einem kulturellen und religiösen Kontext, der uns fremd bleibt. In diesen Ländern ist die Integration der Fremden weder gewollt noch findet sie Zustimmung. „Die Migranten bilden eine Parallelgesellschaft und leben in diesem Sinn randständig an der Peripherie“.

Wie gestaltet sich zur Zeit die Situation in Yemen?

Die Situation ist dramatisch! Es ist schwierig sich ein genaues Bild zu machen. Auch ich habe keine Erlaubnis, das Land zu besuchen. Eines ist sicher: Der grössere Teil der Bevölkerung (27 Millionen) leidet schwer unter den Folgen von Krieg, Krankheit und Unterernährung.Die Zahl der Christen, die schon immer klein war, hat sich drastisch verkleinert. Zur Zeit leben in Sana 10 Missionarinnen der Caritas; sie investieren ihre Kräfte, um den Ärmsten zu helfen. Im ganzen Land gibt es keinen einzigen Priester; die Kirchengebäude wurde zerstört oder unzugänglich gemacht. Die wenigen Gläubigen bleiben ohne seelsorgerliche Begleitung. Wann wird es endlich eine dauerhafte Waffenruhe geben und es zu einem gerechten Frieden kommen? Wir wissen es nicht.

Welche Formen nimmt der interreligiöse Dialog in Ihrem Vikariat an? Es liegt Ihnen viel an diesem Dialog.

Ich bin der Überzeugung, dass der Dialog zwischen den Religionen für die Entwicklung der Welt ganz entscheidend ist. Den Dialog mit dem Islam ist geradezu eine Verpflichtung. Ich halte ihn für absolut notwendig. Allerdings ist er nicht leicht, und es fehlt nicht an Hindernissen. Im Vikariat gibt es gelegentlich Veranstaltungen, die meistens von muslimischen Institutionen veranstaltet werden. Daneben gibt es Veranstaltungen, die alle christlichen Kirchen ansprechen, und bei denen der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog eine wichtige Rolle spielt. Aber die bedeutungsvollste Form von Dialog besteht wohl in den persönlichen Begegnungen. Ich denke dabei an Begegnungen, die ich mit Vertretern der Regierung habe, mit dem Minister für religiöse Angelegenheiten, mit Universitätsprofessoren, mit Muslimen, mit denen ich persönlichen Kontakt und gar Freundschaft pflege. Ich bin überzeugt, dass der fruchtbarste Dialog sich in persönlichen Kontakten von Tag zu Tag ergibt. Es ist klar, dass institutionelle Begegnungen auf hoher und höchster Ebene nützlich sind, allerdings laufen sie nicht selten Gefahr, im Formalen stecken  zu bleiben.

Warum halten Sie Abraham für eine „grosse Quelle der Inspiration“ für die Christen des Nahen Orients?

Abraham gilt als der Vater der drei monotheistischen Religionen. Er ist der gemeinsame Bezugspunkt für alle drei Religionen, obwohl die Erzählungen der drei Religionen voneinander abweichen. Abraham verliess seine Heimat und machte die Erfahrung der Gegenwart und Sorge Gottes. Mit seinem Glauben und seinem Mut fordert er unsere Kirche heraus und begleitet sie. Für viele Migranten ist Abraham Orientierung und ein Zeichen der Hoffnung.

Welche Erfahrungen machen die Gläubigen bei Ihnen mit der Eucharistie?

Im Allgemeinen mit grossem Glauben und mit bewundernswerter Aufmerksamkeit. Jeden Tag nehmen Tausende von Gläubigen an der Messe teil. Während des Wochenendes sind die Kirche gesteckt voll, wie ich es in Europa nie gesehen habe.

Was die Zukunft der Kirche angeht, sagen Sie: Ich glaube, dass wir mit vielen unserer Erfahrungen am Gespräch teilnehmen können. Bei einigen Themen stehen wir - in unserem Stil - weit vor den Beiträgen der Gemeinschaften und Diözesen Europas. Was glauben Sie, dass die Gesamtkirche von der Kirche des Vikariats übernehmen könnte.

Ich glaube, dass Kirche von Migranten sein einen speziellen und vielleicht sogar prophetischen Charakter mit sich bringt. Wir können Zeugen dafür sein, wie wir mutig unseren Glauben in einem nichtchristlichen Kontext leben: Hier verstecken die Christen ihre christliche Religionszugehörigkeit nicht, sie haben keine Angst, zu zeigen, wer sie sind und worauf sie ihren Glauben setzen.Sie respektieren den muslimischen Glauben, aber sie haben keine Angst vor ihm. Ihre Art kann man als milden Mut bezeichnen. Vielleicht werden sie auch durch das Verhalten der Muslime angespornt, sich nicht zu fürchten, ihre religiöse Zugehörigkeit offen zu bekennen. Ich glaube, dass der Mut, den unsere Gemeinschaften an den Tag legen, für die Christen in Europa vorbildlich sein kann: sie machen oft den Eindruck, dass sie sich ihres Glaubens schämen. Der Umstand, dass die Zahl der Priester sehr beschränkt ist (etwa 65 Priester auf eine Million Katholiken), bringt Hunderte von Laien dazu sich in der Kirche als Freiwillige zu engagieren, viel mehr als in Europa. Ohne den unentgeltlichen Dienst dieser Gläubigen zeigte unsere Kirche nicht die Vitalität, über die sie verfügt. Bei uns ist der Ausdruck „Freude des Evangeliums“ (Evangelii Gaudium) gelebte Realität, nicht ein leerer Begriff. Wenn wir uns auf relativ schwache und oft provisorische Strukturen abstützen müssen, garantiert uns die gelebte Freude grössere Flexibilität, andererseits ist sie auch eine ständige Herausforderung. Es ist nicht einfach die Einheit und eine tiefe Verbundenheit zu schaffen, wenn die Gläubigen zu verschiedenen Nationalitäten, Kulturen, Sprachen und Riten gehören. Es scheint mir aber, dass das tägliche Bemühen, Einheit und Verbindlichkeit zu schaffen, dieser Kirche eine Sensibilität verleiht, an der es ihr in traditionellen Pfarreien, die in einer gewissen nationalistischen Mentalität befangenen sind, oft mangelt.

Was sind die drängendsten Probleme in Ihrer Kirche?

Wie ich schon vorher angedeutet habe, ist eines der grössten Probleme, Einheit in der Vielfalt zu bewahren. Sich zu beschränken auf die eigene sprachliche oder kulturelle Gruppe, darin besteht eine wirkliche Gefahr für unsere Gläubigen. Deshalb erachte ich es als wichtig, Dasein einziger Bischof für die ganze Herde zuständig ist. So sind wir am besten davor geschützt, in einen kirchlichen Tribalismus zu geraten. Der hindert oft daran, über den eigenen Gartenhag hinauszuschauen. Ein anderes Problem, das vor allem für uns Hirten eine Herausforderung darstellt, ist die Lage der „künstlichen Zölibatären“, die einen grossen Teil unserer Gläubigen ausmachen. Sie sind zwar verheiratet, aber leben getrennt von der Partnerin, die in der Heimat geblieben ist. Das verursacht affektive Probleme und unangemessene Lebensweisen, die wir angehen müssen. Ein weiteres Problem bilden die Ungerechtigkeiten, unter denen nicht wenige Gläubige zu leiden haben. Es ist eine herausfordernde, delikate Aufgabe, ihnen beizustehen und dabei nicht mit den zivilen Autoritäten und den Arbeitgebern in einen Konflikt zu geraten. Für eine Kirche, die sich ausschliesslich aus Migranten zusammensetzt, bedeutet das in beständiger Unsicherheit zu leben, gleichsam im Provisorium; wenn die wirtschaftlichen Bedingungen oder die Politik der Regierungen sich ändern., bekommen unsere Gläubige das sofort zu spüren. Es kann geschehen, dass eine namhafte Zahl von Gläubigen, ohne jede Vorwarnung die Arbeit verlieret und das Land verlassen muss.

Sind Sie auch der Meinung, dass die Kirche von Morgen „eine sein wird, die berührt und sich selber berühren lässt oder sie wird eben nicht mehr sein“. Wie denken Sie darüber?

Die Strukturen der Kirche sind meiner Meinung nach notwendig, entscheidend aber werden für die Kirche von Morgen die Bindungen zwischen den Gläubigen sein. Es ist notwendig, dass in der Gemeinschaft die Beziehungen weniger institutionell abgesichert sind, persönlicher und menschlicher werden. Wenn ich von einer Kirche spreche, die „berührt“ und sich berühren lässt“, dann denke ich an Jesus, der sich nicht geschämt hat, sich mit den aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen zu kompromittieren. Papst Franziskus erinnert uns immer wieder, dass nur eine Kirche, die aus der Sicherheit ausbricht und den Mut hat, an die Peripherie zu gehen, lebendig bleibt.

Welche Belastungen und welche Freuden waren während diesen Jahren in der Leitung des Vikariats besonders gross?

Die Freuden überwiegen die Lasten. Ich denke an den Glauben und den Enthusiasmus unserer Gläubigen, an den Einsatz für die Pfarreien, den Hunderte von Frauen und Männer leisten, den Eifer und den Einsatz der Priester und Ordensfrauen, an die festlichen Eucharistiefeiern mit Tausenden von Menschen. Unter den Belastungen möchte ich anführen die manchmal unüberwindlichen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Projekten, die ich im Kopf habe, die langen Prozeduren für die Erlangung von Erlaubnissen, die wir unbedingt brauchen, der Egoismus einiger Gruppen von Gläubigen, die zu Konfliktsituationen führt. Oft komme ich mir vor wie der hl. Paulus mit seinen Gemeinden: wenn er auf ihren Glauben sieht, dann erfüllt ihn Dankbarkeit und Freude, und gleichzeitig ist er entmutigt von den Kräften, die er aufwenden muss, um die Konflikte in den Gemeinden zu überwinden. Ich bin ein Arbeiter im Weinberg des Herrn und weiss, dass er die Früchte wachsen lässt. Ich gehe voran in Heiterkeit.

Quelle: Paul Hinder, Bischof in Asien, Hirte der Migranten


 

Als Bischof in Arabien: Erfahrungen mit dem Islam

book de paul hinterPaul Hinder ist bekannt als der "Bischof von Arabien". In Abu Dhabi, seinem Bischofssitz, hat er Erfahrungen gemacht, die Antworten geben auf die Frage, wie der Dialog mit dem Islam gelingen kann. Hinder schildert die Situation der Christen am Golf und beschönigt nicht, sondern liefert ehrliche Einblicke in eine Welt, die für Christen nicht immer einfach ist. Authentisch erzählt und spannend geschrieben ist dieses Buch ein Muss für alle, die sich für den Islam, den Nahen Osten und Zukunft der Kirche interessieren.

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Letzte Änderung am Mittwoch, 31 Oktober 2018 16:00